Autonomes Fahren: Inklusive Mobilität für alle?

12. Mai 2022

Beitragsdatum

Anke Leuschke

Autor

Autonomes Fahren: Inklusive Mobilität für alle?

12. Mai 2022

Beitragsdatum

Anke Leuschke

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Autonomes Fahren
Autonomes Fahren

Die Automobilbranche steht vor einem der größten Umbrüche in ihrer Geschichte. Neue Antriebe und autonomes Fahren sind viel diskutiert. In diesem Zusammenhang wird das Fahrzeug als Fortbewegungsmittel neu gedacht werden müssen. Doch was bedeuten diese Entwicklungen für die Mobilität von Menschen mit Behinderung? Grenzenlose Freiheit oder neue Einschränkungen?

Irgendwann wird sich das autonome Fahren im Individualverkehr durchsetzen und könnte somit Menschen mit Behinderung weitere Chancen eröffnen. Eine wichtige Schlüsselrolle werden dabei Drive-by-Wire-Systeme übernehmen, die von einigen Mitgliedern des VFMP schon seit langem eingesetzt werden, um Menschen mit erheblichen Bewegungseinschränkungen zur eigenständigen Mobilität zu verhelfen und somit mehr Lebensqualität zu bieten. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet ist der schwäbische Umrüster Paravan mit seinem selbst entwickelten Space Drive-System.

Der Umbruch ist in der Branche bereits deutlich zu spüren. Mehr Fahrzeuge mit alternativem Antrieb werden nachgefragt. Auch die Nachfragen der Kunden nach Assistenzsystemen, die bereits die Hürde zur eigenständigen Mobilität verringern beziehungsweise nach autonomen Fahrfunktionen nehmen merklich zu.

Mobilität für alle dank autonomem Fahren?

Schon heute können vorhandene Assistenzsysteme erheblich mehr Möglichkeiten für Menschen mit Handicap bieten, verbunden mit einem deutlichen Plus an Sicherheit: sei es Abstandsregeltempomat, Spurhalteassistent oder die digitale Komfortlenkung mit bis zu 8 Newton. Auch automatisches Ein- und Ausparken oder das Steuern des Fahrzeugs per Smartphone sind teilweise keine Zukunftsvisionen mehr.

Wenn Fahrzeuge vielleicht bereits in ein paar Jahren mit einem serienmäßigen Dive-by-Wire-System ausgestattet werden, erleichtert das beispielsweise die Integration individualisierbarer Bediengeräte wie Joystick oder Gas-Brems-Schieber. Kostengünstigere Lösungen könnten zudem einem größeren Personenkreis – wie zum Beispiel Pensionären, für die ein Umbau ohne Kostenträger nicht mehr finanzierbar ist – sichern und so eine Mobilität bis ins hohe Alter gewährleisten. Digitale Gas-Brems-Systeme bieten darüber hinaus mehr Sicherheit im Vergleich zum mechanischen Handbediengerät für Menschen mit Behinderung.

Autonomes Fahren in allen Lebensbereichen.
Autonomes Fahren in allen Lebensbereichen.

Neue Sicherheitskonzepte erforderlich

Das autonome Fahren in Level 4 und 5 könnte zudem mehr Menschen mit einem Handicap den Zugang zur unabhängigen Mobilität ermöglichen. Doch dafür sind einige Hürden zu nehmen. Die grundsätzliche Frage, werden neue Fahrzeugkonzepte inklusiv beziehungsweise von vornherein barrierefrei gedacht? Eine Grundvoraussetzung dafür ist beispielsweise ein zentrales Steuergerät im Auto, welches autonome Fahrfunktionen – auch schon in Level 3 oder 4 – überwacht, zum Beispiel ob der Fahrer seine Hände am individuellen Eingabegerät hat, um im Notfall eingreifen zu können.

Eine Herausforderung und zugleich wichtige Aufgabe an die Fahrzeugentwickler, denn zukünftige Eingabegeräte für Handicap-Anwendungen müssen ebenfalls ständig weiterentwickelt werden, um mit den Assistenzsystemen im Fahrzeug kommunizieren zu können, zum Beispiel um eine hands on detection – eine zuverlässige Überwachung der Funktionen – zu bieten. So ist zum Beispiel nach den aktuellen General Safety-Regularien ab 2024 bei neuen Fahrzeugtypen ein Notfall-Lenkassistent Pflicht. All diese Entwicklungen böten zusätzliche Sicherheit.

Unter diesen Bedingungen könnten vollautonome Fahrzeuge Menschen mit Behinderung zukünftig in die Lage versetzen, mobil zu sein, für die das heute auf Grund ihrer körperlichen Einschränkungen noch nicht möglich ist, auch durch neue – inklusive – Innenraumkonzepte.

Inklusiven Fahrzeugzugang ermöglichen

Trotz der vielen Vorzüge ist die Vorstellung vom vollautonomen Fahren, von der Abgabe der Kontrolle über das Fahrzeug für viele noch etwas Utopie und kaum vorstellbar. „Ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass mein nächstes Auto – geplant in zehn Jahren – zumindest teilautonom, wenn nicht sogar komplett autonom unterwegs sein wird“, sagt Janis McDavid. Er ist ohne Arme und Beine zur Welt gekommen und seit über zehn Jahren bei der Ausstattung seiner Fahrzeuge auf ein Drive-by-Wire-System und einen Vier-Wege-Joystick setzt. „Eine der spannenderen Fragen aus heutiger Sicht ist für mich, ob ich meine Autonomie komplett an mein Fahrzeug abgeben möchte. Hieße dann, okay, die erste Stunde fahre noch ich, aber wenn ich keine Lust oder Energie mehr zum Selbstfahren habe, kann ich sagen: „So, Auto, jetzt übernehme und fahre mich ans Ziel“.“

Neue Mobilitätskonzepte wie vollautonome Peoplemover könnten deutlich mehr Menschen Zugang zu selbstbestimmter Mobilität ermöglichen. Auch müsste sich nicht jeder ein eigenes Fahrzeug anschaffen. Doch die Vision ist noch in weiter Ferne. Um diese zu realisieren, müssen zukünftige Fahrzeugkonzepte bereits bei der Entwicklung inklusiv gedacht werden. Fragen wie diese müssten bei der Entwicklung berücksichtigt werden: Wie kann eine blinde Person ein autonomes Fahrzeug betreten? Wie wird der Rollstuhl gesichert, insbesondere mit Blick auf die Vielfalt der Rollstuhltypen und wie wird das kontrolliert? Oder was geschieht im Falle eines medizinischen Notfalls? Fakt ist, für diesen Anwendungsbereich müssen weitere individuelle Assistenzsysteme entwickelt werden. Ein autonomes Fahrzeug allein wird in diesem Fall nicht die Lösung sein.

Belange von Menschen mit Behinderung von Anfang an berücksichtigen

Die Fahrzeugindustrie steht vor einem disruptiven Wandel bei der Fahrzeugkonzeption und im Bereich der individuellen Mobilität. Um Mobilität in Zukunft grundsätzlich barrierefrei und nachhaltig gestalten zu können, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller: Automobilhersteller, Fahrzeugumrüster, Forschungseinrichtungen, technische Abteilungen, Gesundheitsorganisationen, Politik und den Nutzer*innen selbst. Sonst besteht zumindest für den Handicapbereich das Risiko, mehr zu verlieren als zu gewinnen.

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